Auf dem Weg in die kurzsichtige Gesellschaft?
Homeoffice und Augen
Die negativen Auswirkungen von Bildschirmarbeit auf die Leistungsfähigkeit der Augen haben sich durch die Corona-Pandemie verstärkt: Viele Patienten berichten über deutlich zunehmende Beschwerden“, sagte Professor Dr. Norbert Pfeiffer von der Uniklinik Mainz während einer Online-Pressekonferenz der „Stiftung Auge“ der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) am Mittwoch. Die Heimarbeitsplätze seien selten so gut eingerichtet wie die Arbeitsplätze im „richtigen“ Büro. Zudem drohe bei Heranwachsenden eine zunehmende Myopisierung.
„Das menschliche Auge war konstruiert für den Gebrauch im Freien, bei sehr viel Licht“, sagte Pfeiffer. Doch in den vergangenen 30 Jahren hätten sich Anforderungen durch die Einführung von Computerarbeitsplätzen sehr stark verändert. „Wir arbeiten jetzt drinnen, wir schauen auf Bildschirme. Das macht es für das Auge sehr viel schwieriger.“ Und im Homeoffice sei der Monitor – meist ein Laptop – in der Regel kleiner als im Büro. Auch die Beleuchtung sei nicht optimal und die Luft meist zu trocken. „Vor allem aber verbringen wir zu Hause noch mehr Zeit vor den Bildschirmen. Während die Arbeit im regulären Büro unterbrochen wird durch Aufstehen, Umhergehen, Abheften, Holen von Gegenständen und vor allem der Kommunikation mit den Kollegen und der Blick schweifen muss und darf, fehlt all das im Homeoffice.“
Trockene Luft und wenig Licht
Die Augenoberfläche trockne bei der für viele Innenräume typischen geringen Luftfeuchtigkeit leicht aus. „Während sich die Augen draußen ständig bewegen und damit die hoch komplexe Tränenflüssigkeit, bestehend aus Wasser, Fett und Schleim, gleichmäßig verteilen, starren wir oft stundenlang auf den Bildschirm“, so Pfeiffer. Während man draußen normalerweise alle paar Sekunden blinzeln müsse, reduziere sich diese Frequenz beim Blick auf einen Bildschirm auf weniger als die Hälfte. „Kein Wunder, dass Austrocknung des Auges, Augenschmerzen, Fremdkörpergefühl und Ermüdung die Folgen sind.“ Die fehlende Helligkeit tue ihr Übriges: Auch ein sehr gut ausgeleuchteter Innenraum-Arbeitsplatz hat dem Experten zufolge selten eine Beleuchtungsstärke von mehr als 200 bis 400 Lux aufzuweisen. Ein trüber Tag draußen biete etwa zehnmal mehr Licht. Ein Sonnentag komme auf etwa 20.000 Lux. „Bei wenig Licht wird die Pupille erweitert und die Tiefenschärfe nimmt ab, das Sehen wird anstrengender.“
Schlimmer durch Smartphones
Ersetzt das handliche Smartphone mit seinem Mini-Bildschirm auch bei der Heimarbeit den PC, werden die Augen laut Pfeiffer noch mehr in Mitleidenschaft gezogen: „Ich muss einen Muskel anspannen, um die Linse so zu verformen, dass ich auf diesen Bildschirm schauen kann. Manche werden es merken: Wenn man dann raus geht, sieht man unscharf, weil der Muskel sich so verkrampft hat, dass er gar nicht mehr locker lassen kann. Das lässt nach ein, zwei Stunden wieder nach. Aber gut ist das natürlich nicht.“
Dauerhafte Folge: kurzsichtige Kinder
Eine dauerhafte Folge des pandemiebedingten Heimunterrichts wird Pfeiffer zufolge eine Zunahme der Kurzsichtigkeit unter Heranwachsenden sein: „Vermehrte Naharbeit wird zu vermehrter Kurzsichtigkeit führen.“ Wichtigster Faktor für die Ausprägung einer Kurzsichtigkeit, noch vor den rund 30 bekannten Genen, die dabei eine Rolle spielen können, sei die Dauer des Schulbesuchs. Das habe eine Studie der Uni Mainz gezeigt. „Für jedes Jahr, dass wir in die Schule gehen, werden wir immer ein bisschen kurzsichtiger.“ Mehr Schuljahre bedeuteten auch mehr Lesejahre. Das Auge adaptiere sich bei Lesearbeit an die Nähe, indem es wächst und damit eine anstrengungsfreie Abbildung des nahen Lesetextes auf der Netzhaut ermöglicht. Kurzsichtigkeit als Folge der permanenten Computerarbeit ist dem Augenarzt zufolge auch für junge Erwachsene noch ein Risiko: „Früher dachte man, dieser Prozess ist mit 16, 18 Jahren abgeschlossen. Vor allem geschieht das Kurzsichtigwerden etwa bis zum Ende der Schulzeit, vor allem in der frühen Schulzeit. Wir konnten in der Gutenberg-Gesundheitsstudie aber nachweisen, dass es auch im Berufsleben weiter geht: Je höher der Berufsabschluss ist, desto größer ist die Tendenz zur Kurzsichtigkeit. Wahrscheinlich sind wir im Bezug auf das Sehsystem erst mit 25 Jahren ausgewachsen.“
Kurzsichtigkeit und Weitblick
Laut Pfeiffer ist bereits heute ein Drittel der Deutschen kurzsichtig. In asiatischen Ländern gebe es allerdings Rekrutenjahrgänge, in denen schon über 90 Prozent eine Kurzsichtigkeitsbrille haben. „Wir gehen davon aus, dass es diesen Effekt auch in Deutschland geben wird. Kurzsichtigkeit kann Pfeiffer zufolge im Verlauf des Lebens erhebliche Auswirkungen haben: Kurzsichtige benötigten nicht nur häufiger eine Brille. Sie hätten auch ein höheres Risiko für Erkrankungen wie beispielsweise Glaukom, Grüner Star oder eine altersabhängige Makuladegeneration.
Eine Zwangsläufigkeit der zunehmenden Computerarbeit müssen Augenleiden aber nicht sein. Norbert Pfeiffer zufolge helfen vor allem Bewegung und Weitblick: „Man muss sich einfach auch dazu zwingen, immer wieder in die Ferne zu schauen. Den Blick schweifen zu lassen und sich zu bewegen.“ Für Kinder sei das besonders wichtig. „Wenn Kinder zwei Stunden draußen sind, dann tritt dieser Effekt der Myopisierung , des Kurzsichtigwerdens, nicht auf.“ Es sei noch nicht ganz klar, ob der Effekt durch das Schauen in die Ferne, die Bewegung oder die Lichtexposition verursacht werde. Hilfreich seien auch Augenübungen, etwa nach einer Videokonferenz und langem Starren auf den Monitor, um die Augen zu bewegen und die Tränenflüssigkeit besser zu verteilen. Grundsätzlich gelte: „Machen Sie, wofür die Augen eigentlich konstruiert wurden: Gehen Sie raus, gehen Sie ins Licht. Bewegen Sie die Augen und schauen Sie in die Ferne und ins Nahe. Und wenn das alles nicht hilft: Gehen Sie zum Augenarzt!“
21.05.2021, 12:13, Autor: Arnd Petry